Niedrige Meldeschwellen für Hinweisgebersysteme
Das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) sieht niedrige Meldeschwellen vor, die den Hinweisgeber nicht daran hindert eine Meldung abzugeben. Dabei ist es dem Gesetzgeber wichtig, dass
- der Hinweisgeber darauf vertrauen kann, dass
- die Meldung möglichst wenige und vertrauenswürdige Personen erreicht
- er keine Repressalien zu befürchten hat,
- die Meldung bereits bei einem Verdacht abgegeben werden darf,
- die Meldung beantwortet wird
- und dass dem Hinweisgeber die ergriffenen Maßnahmen kommuniziert werden.
Die Meldeschwelle, oder auch Meldehürde wird nach unserer Erfahrung außerdem noch durch folgende Aspekte bestimmt, auf die wir näher eingehen möchten:
- Verfügbare Meldekanäle
- Barrierefreiheit
- Mehrsprachigkeit
- Anwenderfreundlichkeit
Verfügbare Meldekanäle
Interne Meldekanäle müssen Meldungen in mündlicher oder in Textform ermöglichen. Mündliche Meldungen müssen per Telefon oder mittels einer anderen Art der Sprachübermittlung möglich sein. Auf Ersuchen der hinweisgebenden Person ist für eine Meldung innerhalb einer angemessenen Zeit eine persönliche Zusammenkunft mit einer für die Entgegennahme einer Meldung zuständigen Person der internen Meldestelle zu ermöglichen.
Mögliche Meldekanäle aus unserer Sicht:
- Telefon
- Brief
- Persönliche Treffen
- Online-Portal
Idealerweise stehen dem Hinweisgeber alle Meldekanäle zur Verfügung. Obgleich diese nicht in diesem Detail vorgeschrieben werden, erwarten wir, dass sich das Fehlen von Meldekanälen negativ auf die „Exkulpationswirkung“ einer vorhandenen internen Meldestelle auswirkt. Diese ist dann relevant, wenn es zu etwaigen Gerichtsverfahren hinsichtlich melderelevanter Sachverhalte kommt. Nachfolgend eine Übersicht möglicher Kombinationen von Meldekanälen, ihrer Zulässigkeit, sowie ihrer Vor- und Nachteile:
Kombination Meldekanäle | Unsere Einschätzung | Grund |
Interne Telefonnummer und interne E-Mail-Adresse | nicht ausreichend, niedrige Exkulpations-wirkung | Unautorisierte, interne Zugriffsmöglichkeiten sind leicht möglich (z.B. über IT-Administration) |
nur Anrufbeantworter | nicht zulässig | Eingangsbestätigung an Hinweisgeber nicht möglich |
Ombudsmann mit externer Telefonnummer | teuer und ineffektiv | Sicherstellung permanente Erreichbarkeit, Sprachbarrieren, hohe Kosten, Bearbeitung von Hinweisen schwer steuerbar (z.B. fehlender Single Point of Truth) |
Persönliche/physische Zusammenkunft | teuer und ineffektiv | Sprachbarrieren möglich, Reisekosten, fehlendes Vertrauen für ein erstes direktes Treffen (face-to-face) |
Online-Portal | bedingt empfohlen | Anforderungen des Gesetzes zum Teil erfüllt, da einige Beschäftigte ggf. keinen Online-Zugang haben |
Online-Portal + externe Telefonnummer + externe E-Mail Adresse + externe Post Adresse |
empfohlen | Vollumfängliche Erfüllung der Anforderungen der EU-Whistleblower-Richtlinie (z.B. durch whistle-blower.net vollständig umgesetzt) |
Barriefreiheit
Eine barrierefreies Hinweisgebersystem, oder eine Website ist ein Angebot, das ohne zusätzliche Installationen oder (technische) Einschränkungen für jeden zugänglich ist. Entgegen der weit verbreiteten Annahme bezieht sich dies also nicht nur auf Menschen mit physischen und/oder psychischen Beeinträchtigungen, sondern generell auf jede:n Benutzer:in.
Zu Barrieren zählen sowohl technische Einschränkungen als auch körperliche, geistige sowie seelische Einschränkungen, die in §3 des Deutschen Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) Berücksichtigung finden.
Beispiele für Einschränkungen sind:
- Technische Einschränkungen (Inhalte einer Website sind nicht für Hilfsmittel geeignet)
- Einschränkungen des Sehens
- Einschränkungen des Hörens
Um diese Barrieren zu erkennen und abzubauen, empfehlen wir Folgendes:
- Skalierbarkeit: Geben Sie Maßeinheiten für Schriften, Bereiche und Abstände usw. relativ an (z.B. in%-Angaben). Da manche Nutzer die Funktion der Browser zur Vergrößerung von Schriften etc. nutzen, sollte selbst bei einer 200 % Vergrößerung der Inhalt noch gut lesbar und erkennbar sein.
- Responsivität: Das Portal sollte auf allen Endgeräten gut lesbar sein.
- Einhalten einer aussagekräftigen Struktur: Klassifizieren Sie Überschriften (Größe und Format h1-h6 in HTML) korrekt. Es darf z.B. nur eine Hauptüberschrift (h1) existieren, auf die 1-n h2 Überschriften folgen.
- Abkürzungen: Abkürzungen vermeiden, welche duch etwaige Vorlesefunktionen ausgesprochen, schwer zu verstehen sind
- Aussagekräftige Metadaten: Tags verwenden um Textabschnitte, Bilder, Tabellen und sonstige Web-Elemente zutreffend zu beschreiben
- Textalternativen/ Bildbeschreibungen (Alternativtexte): „alt-Attribute“ sollten für Bilder und Formulare immer ausgefüllt sein, da Vorleseanwendungen diese für die Sprachausgabe des Inhaltes benötigen. Das „title-Attribut“ ist ebenso wichtig, insbesondere für Hyperlinks
Mehrsprachigkeit
Auch fremdsprachige Hinweisgeber, müssen Hinweise abgeben können, welche für den jeweiligen Adressaten verständlich sind. Dafür unterscheidet z.B. Whistle-Blower.net zwischen
- statischer Übersetzungen und
- simultaner Übersetzungen.
Statische Übersetzungen basieren auf den immer gleichen Text. Diese kommen z.B. bei der Beschreibung von Formularen oder Checklisten zum Einsatz. Hierbei müssen einmalig die Bestandteile eines Formulars übersetzt und hinterlegt werden. Die Anzeigesprache des Frontends wird dann entweder manuell durch den Anwender ausgewählt, oder durch die Anwendung automatisch von der im Webbrowser des Anwenders hinterlegten Sprache abgeleitet. Whistle-Blower.net bietet standardmäßig eine automatische Übersetzungen in allen gängigen Sprachen an.
Die Meldeinhalte, welche durch die unterschiedlichen Anwender (z.B. Hinweisgeber, Vertrauensstelle, Adressat, usw.) verfasst werden, bedürfen möglicherweise eine Simultanübersetzung um eine verständliche Kommunikation zwischen unterschiedlich-sprachigen Beteiligten zu ermöglichen.
Auf Nachfrage bietet Whistle-Blower.net die Hinterlegung von Übersetzungsdiensten wie z.B. Azure, oder DeepL zur Simultanübersetzung an. So kann zum Beispiel ein deutschsprachiger Beschäftigter mit einer türkischsprachigen Vertrauensstelle kommunizieren und Nachrichten austauschen die nach dem Absenden per Übersetzungsdienst unmittelbar in die jeweilige Sprache des Adressaten übersetzt werden.
Usability – Erfahrungen aus unserer Praxistätigkeit
Stehen bei der Einführung und Auswahl von Software zumeist funktionale Aspekte (Programmfunktionen) im Vordergrund, wird die Anwenderfreundlichkeit häufig stark vernachlässigt. In der Praxis von Hinweisgebersystemen stoßen wir häufig auf folgende Probleme, die uns bei Whistle-Blower.net nicht zuletzt dazu veranlasst haben selbst eine Software zu entwickeln:
- Prozesse: Der Meldeprozess sollte einfach und verständlich sein um die Belastung der involvierten Vertrauensstelle und Adressaten so gering wie möglich zu halten. Dies setzt einen hohen Automatisierungsgrad voraus der eintönige und wiederkehrende Tätigkeiten obsolet macht. Am Reisbrett entworfene und in der Praxis kaum verprobte Prozesse, die nicht nachgeschärft werden, führen nach unserer Erfahrung zu unnützen Aufwänden. Standardisierte und gut verprobte Prozesse, wie zum Beispiel durch eine Standardsoftware vorgegeben, können häufige Ursachen für Ineffizienz vermeiden.
- Technische Möglichkeiten: Eine gute technische Lösung sollte jederzeit, überall und einfach erreichbar sein. Das beinhaltet die Darstellung auf mobilen Endgeräten ebenso wie eine Login-arme Kommunikation per E-Mails, welche durch die Software korrekt verarbeitet wird. Barrierefreiheit und die Überbrückung von Sprachbarrieren sollte ebenfalls softwareseitig gelöst werden.
- Veränderungsbereitschaft: Die Einführung von Verfahren mit niedriger Meldeschwelle kann auf Widerstand von Mitarbeitern oder Führungskräften stoßen, die sich unsicher oder beunruhigt fühlen, dass das Meldeverfahren ihre Arbeit oder das Ansehen des Unternehmens beeinträchtigen könnte. Es ist daher wichtig, dass das Management ein klares Verständnis der Vorteile von Meldeverfahren hat und eine offene Kommunikation und Schulung durchführt, um mögliche Bedenken der Mitarbeiter zu kennen und ihnen zu begegnen.
- Prozessreviews: Meldeprozesse sollten, wie eigentlich alle Prozesse, mindestens einmalig z.B. 6 Monate nach Einführung überprüft und ggf. optimiert werden. Die Prozesse von Whistle-Blower.net sind zwar gut verprobt, unsere Erfahrung zeigt jedoch, dass selbst diese Prozesse im Umfeld des spezifischen Unternehmens immer wieder wichtige Optimierungspotenzial bieten. Häufig reicht bereits eine Schulung zu den vorhandenen Funktionen der Software, oder eine einfache Administration der flexiblen Workflows aus, um wichtige Verbesserungen herbeizuführen.
Sollten Sie weitere Fragen dazu haben, kontaktieren Sie uns! Wir beraten Sie gerne!